Zum Jahresende ein kleiner Gedanke, der mir immer mal wieder durch den Kopf geht: Vor vielen Jahren las ich im Sterberegister über einen meiner Urururgroßväter, der 1773 geboren war und 1818 starb, den Eintrag „Bürger und Feldmaurer“. Es irritierte mich, weil ich noch nie gelesen hatte, dass irgendjemand im Sterberegister Bürger genannt wurde. Jahre später wurde mir klar, was das aller Wahrscheinlichkeit zu bedeuten hatte.

Zu Lebzeiten dieses Mannes war die Leibeigenschaft abgeschafft worden. Vermutlich war er als Leibeigener aufgewachsen und als Bürger gestorben. Was für ein gewaltiger Umbruch mag das damals im Leben der Menschen bedeutet haben. Es gibt genügend Zeitzeugnisse, die nahelegen, dass die Leibeigenen froh gewesen sein sollten, diesen neuen Status zu erhalten. Ich habe aber auch einmal von jemandem gelesen, der mit der neuen Freiheit und der damit einhergehenden Notwendigkeit, eigenständig Entscheidungen zu treffen, (auf die ihn nie jemand vorbereitet hatte,) nicht gut zurecht kam. Im optimalen Fall hatte der alte Status auch eine Form von Sicherheit geboten.
Seit mir dieser Wechsel vom Leibeigenen zum Bürger innerhalb eines Lebens bewusst wurde, denke ich anders darüber nach, was „Bürger-sein“ eigentlich bedeutet. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden mit dem Begriff ja durchaus unterschiedliche Vorstellungen verknüpft, begehrliche zum Beispiel, wenn jemand bestrebt war, den Sprung ins Bildungsbürgertum zu schaffen. Aber auch gegenteilige, wenn jemand naserümpfend als bürgerlich, kleinbürgerlich oder umgekehrt als großbürgerlich bezeichnet wurde oder wird. Im Grunde muss man doch zum Ursprung zurückgehen, um sich zu vergegenwärtigen, dass Bürger zu sein bedeutet, Rechte zu haben und mitreden zu dürfen – von den Pflichten mal ganz abgesehen. Die Frage ist wohl, was man draus macht …

Da Biografien viel mit Vergangenheit, Gesellschaft und sozialen Bedingungen zu tun haben, ist das vielleicht ein Gedanke, der auch euch / Sie faszinieren könnte.

Beate Friedrich-Lautenbach
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