Weihnachten liegt hinter uns, und dank gut gefüllter Gabentische wird das Leben wieder digitaler, indirekter und bequemer. Immer häufiger putzen Roboter die Fenster, saugen Staub und mähen Rasen, ohne dass man noch einen Gedanken darauf verschwenden muss.

„Das Internet der Dinge verbessert nicht nur Produktionsprozesse und Produkte, es verän­dert auch das Leben aller Beteiligten“, schreibt der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) im Netz: „Komplexe Produktions­prozesse und kleine Alltagsverrich­tungen zwischen Dingen, Dienstleistungen und Menschen sind heute digital vernetzt.“ Das schaffe neue Dynamiken bis hinein in unser aller Leben.

Brett vorm Kopf statt in der Hand: Die Zukunft ist virtuell.

Und dynamisch wollen wir doch sein! Im Leben 4.0 ist alles smart gelöst: Die Facebook-Timeline mit Bildern, Statusbeschreibungen und Kommentaren ersetzt das verstaubte Tagebuch, den Lebenslauf gibt’s jetzt als öffentliches Profil, Briefe werden per WhatsApp geschrieben und Gefühle drücken wir per Emoji aus…

Warum ganze Bücher mit Memoiren füllen? „Bei Twitter verrät die in 160 Zeichen verpackte Kurzbiografie, welche Person und Interessen sich hinter einem Account verbergen“, schreibt die Socialmedia-Beraterin Tina Galliarno im Netz und gibt Tipps, wie sich die eigene Twitter-Biografie „aufpimpen“ lasse. Freundschaftspflege läuft heute über „Stayfriends“, statt sich zu besuchen wird geskypet. „Geht gefälligst online, wenn ihr streiten wollt!“, so schimpft die Mutter. Das Gedächtnis haben wir bei Google abgegeben, und die Erinnerungen hängen in der Cloud. Wer braucht den Stammtisch, wenn er sich am „Shitstorm“ bequem vom Sofa aus beteiligen kann, und wer das Kaffeekränzchen, wenn es Chatrooms gibt? Statt eines Haustiers pflegt man einen Tamagotchi, und gestreichelt wird nur noch das Smartphone, das hat Touch. Schöne neue Welt? Das einzige, was uns noch wirklich treffen kann, ist Stromausfall!

Aber wer sich noch an das Leben vor der Digitalisierung erinnern kann, mag sich in romantischem Trotz an der Sinnlichkeit der Echt-Erfahrungen festhalten wollen: Es ist vielleicht unhygienischer, aber ich ziehe es vor, einem echten Hund durchs Nackenfell zu wuscheln, zu hören, wie sein Schwanz über das Parkett fegt, wenn er vor mir sitzt und zu spüren, wie er liebevoll meine nackten Füße leckt. Ich genieße es auch, mit echten Menschen zusammenzutreffen, die Wärme eines Händedrucks und die Nähe einer Umarmung zu spüren. Ich lasse mich gerne von dem Gefühl der Verbundenheit einhüllen und finde, dass ein Mensch mehr ausstrahlen kann als den Elektrosmog seiner Simulation auf dem Bildschirm.

Frühgeborenen im Brutkasten gesteht man inzwischen zu, dass sie den direkten Hautkontakt mit der Mutter brauchen, weil man weiß, wie wichtig für ihre Entwicklung auf allen Ebenen diese echte menschliche Berührung ist. Erst später gibt es den Vorschul-Computer zum Spielen, dann das Smartboard in der Schule zum virtuellen Schreiben, dann schließlich die VR-Brille (siehe Bild) zum virtuellen Gucken und Leben im vollkommen abgesicherten Modus.

Das Leben 4.0 macht alles einfacher und schneller, und trotzdem bringt es Rückenschmerzen, Bluthochdruck, Stress und Depressionen mit sich. Körperbedürfnisse und ihre virtuellen Befriedigungen passen eben noch nicht in jedem Fall gut zueinander:  Virtuelles Bewegen reicht für das reale Wohlbefinden nicht, während virtuelle Pommes besser vertragen werden als die echten.

Fitness-Studios haben im Januar immer besonders viele Anmeldungen, die auf die guten Neujahrsvorsätze zurückzuführen sind. Ab Februar sind die frisch Angemeldeten häufig nur noch fördernde Mitglieder. Wie wäre es denn, einmal das Gegenteil zu versuchen? Mal kurz wieder auf Slow-Motion schalten, die Gegenwart sehen, Papier und Stift zur Hand nehmen und aufschreiben: Was macht mich aus? Was mag ich, was kann ich, was ist mir heute gut gelungen? Was wir Biografen im Großen versuchen, wenn wir einem ganzen Leben auf die Spur kommen, kann man auch für sich selbst in kleinen Tages-Häppchen tun. So gelingt es wieder, sich mit der echten Welt zu verbinden, sich zu nehmen, wie man ist und sich kleine Ziele zu setzen, was man heute noch erreichen, wie man morgen sein will. Es gibt Bücher, die das unterstützen: „Das 6-Minuten-Tagebuch“ oder „Jeden Tag ein Gedanke“ beispielsweise, ein Tagebuch, in das man über fünf Jahre einträgt, und ab dem zweiten Jahr kann man oben auf der Seite lesen, was man vor einem Jahr festgehalten hat – oder vor zwei, drei, vier Jahren. Wie hat sich das Leben entwickelt? Gefällt es mir, oder möchte ich es heute anders entwickeln? Ich bin überzeugt davon, dass solche Gedanken wichtig sind, um den Stress der smarten Welt zu durchbrechen und sein inneres Gleichgewicht zu erhalten.

Adele von Bünau, Siegen, NRW

www.ihre-autobiografie.de