Familiengeschichten bewahren heißt Familiengeschichten aufschreiben. Die Geschichte der eigenen Familie zu erforschen, liegt im Trend. Wir wollen wissen, wo unsere Wurzeln liegen. Dass dies eine zeitintensive Beschäftigung werden kann, weiß jeder, der begonnen hat, eine Familienstammbaum oder eine Ahnentafel zu erstellen. Selbst wenn erste Aufzeichnungen von der vorhergehenden Generation vorliegen, sind diese oft lückenhaft. Selten liefern sie neben Auflistungen von Namen, Geburtsdaten und –orten Stoff, um spannend zu lesende Familiengeschichten zu formulieren. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht mit dem Sammeln und Auflisten von Stammdaten, Sichten von Dokumenten und weiteren Materialien in Archiven beschäftigen. Familienforschung ist ein komplexes Thema. Einführende Informationen finden sich im Internet unter den Stichpunkten #Ahnenforschung, #Familienforschung oder #Genealogie. Auch gibt es zahlreiche Bücher, die Anregungen zur Ahnenforschung liefern.

Familiengeschichten aufschreiben – wie es leicht gelingen kann…

Mich – als Autorin für biografisches Schreiben – beschäftigt es, Anekdoten aus der Familiengeschichte vor dem Vergessen zu retten. Und als Dozentin für autobiografisches Schreiben gebe ich gerne Ideen weiter, wie Familiengeschehnisse einen Rahmen finden, aufgeschrieben zu werden.

Zwei Beispiele, die zeigen, wie leicht das gehen kann, skizziere ich im Folgenden. Die Namen in den Fallbeispielen sind fiktiv, die Fälle real und stammen aus meinen Kursen.

Beispiel 1:

Beate tritt im Kurs an, um ihre eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben. Als es in einem Exkurs des laufenden Semesters um Familienforschung geht, soll sie und die anderen Teilnehmenden eine erste Übersicht der Herkunftsfamilie aufzeichnen. Im Anschluss daran ist ihre Aufgabe, einen Verwandten auszuwählen, der sie besonders interessiert – entweder weil über diesen in ihrer Familie viel erzählt worden ist oder aber weil sie Ähnlichkeiten vermutet. Alle schreiben darauffolgend ihre Erinnerungen auf und gegebenenfalls, was sie gerne noch über diesen Menschen wissen würden. Im Seminar spürt Beate, dass ihr die eigenen Erinnerungen nicht ausreichen. Sie möchte mehr über ihren Onkel Paul in Erfahrung bringen.

In der vorlesungsfreien Zeit beginnt sie zu recherchieren, nimmt Kontakt mit anderen Verwandten auf und lässt sich unter anderem von Günther, Onkel Pauls Sohn erzählen, was dieser noch erinnert von seinem Vater. Onkel Paul ist ja schon lange verstorben. Beate schreibt alles auf und innerhalb kürzester Zeit hat sie viel Material über ihren Onkel gesammelt und auch Geschichten über andere Familienmitglieder wie Tante Ilse, Großmutter Lisa sowie den Vetter Erich erfahren. Sie beschließt über ihre Familie ein Buch zu schreiben, damit ihre Verwandten ebenso in den Genuss kommen, mehr über die eigene Familie zu erfahren.

Beispiel 2:

Peter sagt zu Beginn des ersten Semesters, dass nicht seine eigene Lebensgeschichte Grund der Teilnahme sei. Er möchte Familiengeschichten aufschreiben. Kürzlich hat Peter an einer Familienfeier teilgenommen, zu der Familienmitglieder aus verschiedenen Regionen Deutschlands und zum Teil auch aus dem Ausland angereist sind. Nachdem die erste Wiedersehensfreude abgeklungen ist, tauschen die Familienmitglieder Erinnerungen aus – an gemeinsam verlebte Zeiten und an Begegnungen mit Cousinen und Cousins, mit Tanten, Onkel, Großmüttern und –vätern. Sie erzählen sich Anekdoten, fragen nach, versuchen Unstimmigkeiten in den Erzählungen zu deuten. Und plötzlich ist der gemeinsame Wunsch da, diese Geschichten festzuhalten. Peter meldet sich prompt beim autobiografischen Schreiben an und beginnt dort unter Anleitung seine Erinnerungen aufzuzeichnen.

Per Mail vereinbart er mit den anderen interessierten Familienmitglieder einen Termin, wann die ersten Geschichten ausgetauscht werden und wer über wen etwas schreibt. Peter gibt zudem regelmäßig ein paar Anregungen aus dem Kurs weiter, wie man Erinnerungen aufschreiben kann. Ein reger Austausch entsteht und innerhalb weniger Monate sind die ersten Geschichten im Computer und untereinander gegengelesen. Die Lektüren der Geschichten wecken neue Erinnerungen und weitere Fragen zu den Verwandten tauchen auf. Erneut recherchieren alle und halten die Ergebnisse schriftlich fest. Wenn nun noch eines der Familienmitglieder alle Geschichten sammelt und den Überblick behält, über wen bereits geschrieben wurde, kann im Zeitraum von einem Jahr durchaus eine hübsche Familienanthologie entstehen.

An diesen beiden Beispielen kann man erkennen, dass nicht immer ein zeitintensives Forschungsvorhaben vorangehen muss, um Familiengeschichte(n) aufzuzeichnen.

Familiengeschichten aufschreiben, heißt, den Erinnerungen an lebende oder bereits verstorbene Verwandte einen Raum zu verschaffen. Denen, die diese Familiengeschichte(n) gemeinsam schreiben und denen, die sie lesen, schenken sie im besten Falle Freude, Nähe und ein Gefühl der Verbundenheit mit der eigenen Familie.

 

Michaela Frölich www.schreibatelier-froelich.de