„Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott. Hommage an Louise Aston“ ist eine Entdeckung, die ich einem intuitiven Griff ins Biografien-Regal meiner Stammbuchhandlung verdanke. Barbara Sichtermann befasst sich auf ca. 140 Seiten mit dem Leben von Louise Aston. Anders als Vor- und Nachname vermuten lassen, war sie Deutsche. Die 1814 geborene Pastorentochter nahm die Emanzipationsgeschichte der Frauen in visionärer und radikaler Weise geistig und praktisch vorweg. „Freiem Leben, freiem Lieben / Bin ich immer treu geblieben“ wird sie gleich zu Beginn zitiert. Louise Aston muss zu ihrer Zeit  so bekannt gewesen sein, dass sie in Männerkleidung und Zigarre rauchend 1853 sogar in Öl portraitiert wurde.

Das Gemälde erhielt den Namen „Die Emanzipierte“. Zur Erinnerung: Die Fotografie wurde in jener Zeit gerade erst erfunden. Bis dahin waren derartige Gemälde die einzige Möglichkeit, einen visuellen Eindruck zu vermitteln. Die Autorin bezeichnet ihr Werk als Hommage. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine klassische Biografie. Denn schon nach 28 Seiten kennen die Leser Louise Astons gesamten Lebenslauf, der für die damalige Zeit spektakulär war.

Louise Franziska Hoche lernte als Pastorentochter lesen und schreiben, was zu jener Zeit noch keine Selbst­verständ­lich­keit war. Sie nutzte diese Fähigkeiten ausgiebig und hörte nicht dort auf, ihren Verstand zu benutzen, wo die gesellschaftliche Ordnung das vorsah. Der Widerspruch zwischen dem ihr vermittelten religiösen Anspruch und der aufgezwungenen Konventionalehe mit einem älteren englischen Fabrikanten brachte das Weltbild der 20-Jährigen zum Einsturz. Nach wenigen Jahren wurde die Ehe geschieden. Louise Aston zog aus der Provinz nach Berlin, dorthin wo die Welt in Deutschland damals geistig aus den Angeln gehoben wurde. Es war die Epoche des Vormärz. Im momentan gebräuchlichen Vokabular lässt sich sagen: Louise Aston vernetzte sich bestens und zog ihr Ding durch – konsequent und kompromisslos. Die damaligen Frauenrechtsbewegungen waren dagegen alle im Bürgertum verankert und verschrieben sich weiterhin der traditionellen Rollen­teilung. Louise ließ sie allesamt mit ihren Vorstellungen und ihrer Lebensweise weit hinter sich und zog deshalb selbst den Unmut der Fortschrittlichsten auf sich.

Dass mich dieses Buch elektrisiert hat, verdanke ich den Einblicken in das höchst fortschrittliche weibliche Denken und Fühlen dieser Frau des frühen 19. Jahrhunderts. Denn schon oft hatte ich mir beim Schreiben meiner eigenen Familiengeschichte überlegt, wie Frauen die damalige Zeit im Falle extremer Freiheitsliebe denn empfunden haben könnten. Louise Astons Wünsche und Empfinden stehen heutiger Auffassung in nichts nach, scheint mir. Nur das gesellschaftliche Umfeld hat sich seitdem zu Gunsten der Frauen verändert.

Eindrücke der damaligen Sprache, der politischen und gesellschaftlichen Umstände ergänzen das Bild. Was wissen wir über das Leben in der Zeit des Vormärz, über die darauf folgende demokratische Revolution 1848 in Deutschland, die niedergeschlagen wurde? Was wissen wir über die politischen Emigranten, die nach England und in die USA flohen; was über die absolutistisch geführten deutschen Kleinstaaten, die erst noch zu einem Reich zusammenwachsen mussten, oder über einen Geist von Denunziantentum und Zensur, der die Zeit bestimmte? Karl Marx verfasste damals übrigens das Kommunistische Manifest. Ist uns allen bewusst, dass erst wenige Jahre zuvor die Leibeigenschaft abgeschafft worden war? Dieses Buch bringt den Geist jener Zeit anschaulich nahe, in der Louise Aston für Rechte kämpfte, die heute teils selbstverständlich sind, teils immer noch visionären Charakter haben.

Louise Aston entwickelte ein Lebensmodell aus ihrem inneren Empfinden heraus, das sie zum Maßstab ihres Lebens erhob und dem gesellschaftliche Normen standhalten mussten – oder von ihr verworfen wurden. Ihr Widerspruchsgeist war größer als Ängste, die sie vielleicht umtrieben. Nicht alles mag man gutheißen, was diese Frau sagte, schrieb und tat, aber sie benutzte nicht nur ihren Verstand, sondern lebte aus dem Gefühl. Sie ließ ihren Reden Taten folgen und trug die Konse­quenzen ihres Tuns in vollem Umfang. Das Sorgerecht für die einzige überlebende ihrer drei Töchter wurde ihr entzogen. Sie schrieb Bücher, brachte eine Zeitschrift heraus, wurde verfolgt und nahm an Kriegshandlungen teil, fand offenbar doch noch den Mann fürs Leben. Doch zur Ruhe ließ die Gesellschaft sie nicht kommen. Im Alter von 57 Jahren starb sie vermutlich an Tuberkulose in Wangen im Allgäu.

Die kurzweilige und differenzierte Darstellung dieses Lebens erinnert in fast jedem Satz daran, dass Werte veränderlich sind und dass Richtig und Falsch keine absoluten Begriffe sind. Ein Buch, das uns die Vergangenheit nahe bringt und den vorsichtigen Umgang mit Urteilen nahelegt. Meiner Meinung nach absolut lesenswert. Erschienen 2014 bei edition Ebersbach in Berlin.

© Beate Friedrich-Lautenbach, 25.11.2014
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