Nach meinem Gastaufenthalt auf dem Biographiegespräch von Katja Senglemann und Grit Kramert, bin ich nun auf meinen eigenen Blog gezogen, der unter Das beschriebene Blatt zu erreichen ist. Hier geht es also weiter mit Berichten aus Norwegen aus der Sicht einer Eingewanderten.
Bevor ich nach Norwegen ging, wusste ich nicht mehr, als dass es ein phantastisches Urlaubsland mit hohen Bergen und tiefen Fjorden ist, deren Druiden keine Kräuter im Wald für den Zaubertrank suchen, sondern ihn direkt mit Hilfe von Bohrinseln aus der Nordsee fördern. Ich hatte von dem herausragenden Sozialsystem und dem hohen Lebensstandart gehört. Seit ich dort wohne und die Sprache beherrsche, gewinne ich zunehmend mehr Einblick in die Gesellschaft, das Alltagsleben und in die Geschichte. Vielleicht war der Phlegma, der mir heute manchmal zu schaffen macht, eine Überlebensstrategie in Zeiten, als der Erfolg der eigenen Arbeit durch widrige Wetterbedingungen in kürzester Zeit zerstört werden konnte.

Ich begann Berichte zu schreiben, um mein neues Leben zu verstehen und mich in all dem Fremden nicht so verloren zu fühlen. In den Sprachkursen begegnete ich Menschen aus aller Welt, die unter wirklich schwierigen Umständen ihr Zuhause verlassen mussten, von denen es manchen kaum möglich war, auch nur geringen Kontakt zu ihren Familien zu halten, die sie zurücklassen mussten. Für die Familienchronik, die ich zu der Zeit schrieb, setzte ich mich mit der Auswanderung vieler Europäer nach Amerika im 19. Jahrhundert auseinander. Verglichen mit den Strapazen, die diese Menschen, die bis dahin oft kaum ihren Heimatort verlassen hatten, auf sich genommen hatten, in die totale Ungewissheit aufzubrechen, die sich nicht mal sicher sein konnten, lebend anzukommen und nichts von ihrem Ankunftsort wussten außer dem, was sie in Briefen anderer gelesen oder von Rückkehrern gehört hatten, die ja alle nicht als gescheitert dastehen wollten, war dieser Schritt für mich beinahe vergleichbar mit einem Umzug von Schleswig-Holstein nach Bayern.

Unterwegssein ist schon lange ein zentrales Thema, das mich brennend interessiert. Die Flexibilität, die seit langem auf dem Arbeitsmarkt erwartet wird, bringt eine Menge neuer Arbeitsnomaden hervor. Die Modelle, sich darin als Single oder als Familie einzurichten, sind vielfältig. Durch meine eigenen Erfahrungen nun auch im Ausland kommt eine weitere Dimension dazu. Ich habe erfahren, dass das Beherrschen der Grammatik und der Vokabeln noch lange nicht ausreicht, um weiter zu kommen, als sich verständlich auszudrücken.
Die Gründe für einen Ortswechsel – ob innerhalb eines Landes oder über die Grenzen hinaus – sind so verschieden, wie die Menschen, die dahinter stehen. Und so vielfältig fallen ihre Geschichten aus. Mit welchen Vorstellungen geht man los, was bestätigt sich, was stellt sich als Mythos heraus. Welche Strategien helfen anzukommen und sich zurechtzufinden. Was vermisst man am meisten, was erscheint einem als Gewinn. Auf jeden Fall bereichern diese Erfahrungen das Leben und verändern die Sicht auf vieles, was einem immer als so selbstverständlich erschien.

Heinrich Böll brachte in seinem ‘Irischen Tagebuch’ auf den Punkt, wie persönlich Blick, Fokus und Erleben auf die Welt sind: “Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor.“