Trauer ist unendlich vielfältig. Wir trauern um Menschen, die gestorben sind, aber beileibe nicht nur. Wir trauern auch um Beziehungen, die zu Ende gegangen sind, um den Zustand unserer Erde. Um „alte Zeiten“, einen Job, einen Traum. Gemeinsam ist allem, dass die Zeit unvermeidlich Veränderung mit sich bringt, dass wir das meiste im Leben nicht festhalten können. Dass wir loslassen müssen.

In der Ausstellung „In Watte und Nadeln“, die bis in den Mai dieses Jahres hinein in der Galerie im Körnerpark in Berlin gezeigt wurde, ging es um die Verarbeitung von Trauer um Menschen, die gestorben sind. In den unterschiedlichen Arbeiten wurde deutlich, wie vielfältig die Umgangsweisen mit dem Tod von geliebten Menschen sein können, wie ambivalent Trauer auch sein kann – ganz so wie Liebe.

„Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe zahlen.“ Dieser Satz, der sich in der Ausstellungsbroschüre zu der Ausstellung „un_endlich“ wiederfindet (hier am 04.10.2023 besprochen), berührt mich sehr. Er spiegelte sich in jeder Arbeit der Ausstellung.

Einige Frauen, jede von ihnen hatte ihre Mutter verloren, versuchten in einem Film, in Worte zu fassen, wie sich ihre Trauer anfühlt: Wie Watte. / Wie ein Stein. / Sie durchdringt alles. / Wie Nadeln, die immer wieder zustechen. / Wie eine Frequenz, die immer da ist und durch den Körper fährt. Man kann sie nicht berühren. Wie ein Vakuum oder das Gegenteil davon, doch man sieht nichts. / Es ist Liebe, die keine Richtung mehr hat.

Ebenso eindringlich, intensiv und nahbar wie dieser Film waren auch die anderen Exponate der Ausstellung, wir etwa der Film, in dem man in die Welt des Trauergesangs eintauchen konnte. Ich habe noch nie so eindrucksvoll gehört, wie Schluchzen und Gesang sich intensiv vereinen. Tief beeindruckt hat mich auch das Video mit dem Titel „Father and Son“ von Jaan Toomik (1998). Es zeigt, wie auf der zugefrorenen Ostsee ein nackter Mann auf Schlittschuhen von weit her auf die Kamera zugefahren kommt. Schließlich umkreist er die Kamera mehrere Male, gleichzeitig gelassen wie frierend, manchmal leicht unbeholfen, bevor er irgendwann wieder fortfährt, in Richtung des weißen Horizonts, und schließlich mit diesem eins wird. Untermalt wird die Szenerie mit einem gregorianischen Choral.

Auch ganz ruhige Fotos wurden ausgestellt, so wie die von Wohnungen, in denen ein Mensch von zweien, die dort lang zusammengewohnt hatten, gestorben war. Es wurde sichtbar und spürbar, welche Leerstelle er hinterlässt – wie er fehlt.

Ob Trauer laut oder leise verarbeitet wird, über das Sich-selbst-Schmerzen-Zufügen, über Malen, Sprechen, Gestalten, Weinen oder Meditieren – es gibt so viele Arten von Trauer wie es Menschen gibt.

Trauerarbeit zu leisten und leisten zu dürfen, Trauer als wichtigen Prozess und als Entwicklung zu verstehen, sie ins Leben zu integrieren, um „Trauer nicht als Ende, sondern als Veränderung zu begreifen“, um heilen zu können, dazu wollte die Ausstellung beitragen.

So kann etwa Trost heilen.

 

Ausstellung „Trost – Auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses“

Die Ausstellung im Kasseler Museum für Sepulkralkultur betrachtet das Phänomen Trost aus verschiedenen kulturellen, religiösen und künstlerischen Perspektiven und reflektiert, wie wir mit Verlust und den damit verbundenen Schmerzen umgehen können. Was hilft uns in der Trauer?

In dem sehr schönen Gebäude bewegt man sich durch helle, lichtdurchflutete Räume, die einem den Zugang zu dem Thema erleichtern. Nicht alle, aber einige Ausstellungsexponate setzen auf, arbeiten mit einer Leichtigkeit, wie etwa die Wände, auf denen zur Interaktion, Mitgestaltung aufgefordert wird durch Fragen wie: Hast du Rituale, die dich trösten? Welche Speisen gibt es bei eurer Trauerfeier? Welche Musik spendet dir Trost? Die Zusammenstellung aller Musikstücke wird in einer Spotify-Playlist öffentlich gemacht.

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Um die Trostkompetenz von Tieren geht es in Bildern, auf denen Pferde an Sterbebetten stehen und Menschen verabschieden.

Eine bewegende Geschichte fand ich die vom „Telefon des Windes“: Als Itaru Sasaki 2010 seinen Cousin verlor, beschloss er, in seinem Garten auf einem Hügel eine gläserne Telefonzelle zu bauen, in der sich ein abgeschaltetes Telefon befand, um mit seinem verstorbenen Verwandten zu kommunizieren. Dies half ihm, seine Trauer zu verarbeiten. Nachdem ein Jahr später ein Tsunami Japan heimsuchte und unzählige Menschen seiner Heimatstadt ums Leben kamen, öffnete er das „Telefon des Windes“ wieder für die Trauernden. Es sprach sich herum, und es heißt, dass innerhalb der folgenden drei Jahre rund 10.000 Besucher:innen zu dem Hügel reisten, um über das Telefon des Windes ihre Trauer zu verarbeiten.

Die Kraft kollektiver Rituale wird in einer Abschiedszeremonie für einen Gletscher auf Island ebenso verhandelt wie in dem Film, in dem mehrere Menschen ein „Memorial Paddle Out“, eine Trauerzeremonie auf Schwimm-/Paddelbrettern im Meer abhalten.

Ein wunderschönes Beispiel für kreative Trauer- und Erinnerungsarbeit ist die Grabstehle, die Franz, Tischler und Holzgestalter, gemeinsam mit Freund:innen und Familienmitgliedern für seine eigene Grabstelle anfertigte. Die Holzringe dienen als Abschiedsgruß an den Toten. Der Abschlussring aus Stein trägt die Inschrift seines Namens und seine Geburts- und Sterbedaten.

Gegen Ende der Ausstellung wird eine sehr berührende Fotoreihe von vier sterbenskranken Männern gezeigt, die 1993 auf der Aids-Station eines Krankenhauses entstand. Hier wird die Liebe durch die Partner, die Familie, die Freundinnen und Freunde spürbar und auch, wie wichtig sie ist, besonders zum Abschied.

Viele Stunden kann man hier verbringen. Großartigerweise ist es auch möglich, die Ausstellung digital zu besuchen. Nahezu alles, was ich beschrieben habe, kann man sich auch online ansehen, ebenso wie Interviews mit Menschen unterschiedlicher Professionen, die Trostarbeit leisten, wie etwa ein Pfarrer, ein Rabbiner, eine Sterbebegleiterin, eine Trauerrednerin.

Auch die Dauerausstellung des Museums ist inzwischen digital einsehbar, in der laut Text auf der Webseite „gezeigt wird, was sich im Zusammenhang mit den ‚letzten Dingen‘ entwickelt hat. Dazu zählen Bestattungs‐ und Trauerriten sowie besondere Bräuche, aber auch künstlerische Sichtweisen auf Leben und Tod. Das Museum konzentriert sich mit seiner Sammlung auf den mitteleuropäischen Raum vom ausgehenden Mittelalter bis zur Gegenwart.“

Der Tod gehört zum Leben, die Trauer haben wir Lebenden zu leisten. Zum Glück gibt es Trost.

 

Ausstellung „In Watte und Nadeln“, bereits vorbei, Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, 12051 Berlin

https://galerie-im-koernerpark.de/de/ausstellungen/in-watte-und-nadeln-konturen-von-trauer

 

Ausstellung „Trost – Auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses“: verlängert bis 29. Oktober 2023, (ursprünglich bis zum 17. September 2023), Museum für Sepulkralkultur, Weinbergstraße 25–27, 34117 Kassel

https://www.sepulkralmuseum.de/ausstellungen/sonderausstellungen/trost–auf-den-spuren-eines-menschlichen-beduerfnisses

digital:

https://visit.museum-virtuell.com/de/tour/trost?play=1&sr=%2C.98&ss=9

 

Ausstellung un_endlich“: noch bis 26. November 2023, Humboldt-Forum, Schlossplatz, 10178 Berlin

https://www.humboldtforum.org/de/programm/laufzeitangebot/ausstellung/un_endlich-leben-mit-dem-tod-70155/