Sprache ist toll, weil sie sich unmerklich, aber ständig verändert. Handy ist ein nicht mehr ganz neues Beispiel dafür, wie neue Worte Einzug in unseren Sprachgebrauch halten.
Oft benutzen wir ganz selbstverständlich Worte, die wir aus unserer familiären Herkunft kennen, bei manchen nehme ich mir ihre Benutzung vor, es ist meine Art, die Erinnerung wach zu halten: Meine Mutter beurteilte das Wetter oft als scheusslich und Aufführungen manchmal als glänzend, mein Onkel empfindet so manches als tadellos. Jenes tadellos übernahmen meine Geschwister und ich freundlich lächelnd in unseren Wortschatz und wenn wir es bewusst benutzen, wenn wir zusammen sind, denken wir an unseren Onkel Manfred, der ganz weit weg in München wohnt.
Was hat das mit Biografie zu tun?
Ich musste etwas ausholen. Denn was hat das alles mit Biografie zu tun? Viel. Als Biografin verbringe ich viel Zeit mit meinen Kunden. Ich nehme wahr, wie sie sprechen und welche Worte sie gern benutzen. Manche kommen schnell in mein Bewusstsein, manche bemerke ich erst beim Abhören des aufgenommenen Gespräches. Ein Kunde drückte sein Erstaunen mit den heute nur selten benutzen Worten kolossal und kurios aus. Das fiel mir schnell auf. Dass er oft teilweise sagte, bemerkte ich erst später. Eine andere Kundin urteilte in zwei Gesprächen, jemand habe nicht den tiefen Teller erfunden. Das ist zwar etwas gemein, aber da die Kundin eine liebenswürdige Person ist, musste ich herzlich lachen und beschloss, diese Umschreibung für die Eigenschaft dumm in mein Repertoire aufzunehmen. Von einem anderen Kunden ist eine Redewendung ganz schnell und ohne großes Zutun in meinen aktiven Wortschatz übergegangen: Schwarz weiß und in Farbe.
Ja und?
Was möchte ich damit sagen? Das eine ahnen Sie vielleicht: Als Biografin bin ich eine – sehr persönliche – Dienstleisterin, ich möchte ein tolles Produkt abliefern und es gelingt mir fast immer, die Kunden zufrieden zu stellen. Aber ich bin auch persönlich berührt, lasse mich auf meine Kunden ein, staune über sie und lerne von ihnen. Das bereitet mir große Freude.
Der andere Punkt ist, dass ich die oft benutzen Worte meiner Gesprächspartner bewusst in den Text einstreue. Wenn alles gut läuft, ist es, wie eine Kundin mir erzählte: „Meine Tochter hat gesagt: die Biografie zu lesen ist, als ob ich Dich sprechen höre, Mama.“
Das ist das größte Kompliment für eine Biografin!
Übrigens – Was ist der Unterschied zwischen Wörtern und Worten? ” Der Duden sagt: Der Plural Wörter wird verwendet, wenn damit die kleinsten selbstständigen sprachlichen Einheiten von Lautung und Bedeutung gemeint sind. Der Plural Worte wird hingegen verwendet, wenn damit auf den bestimmten Inhalt oder Sinn dieser sprachlichen Einheiten referiert wird (Liebe und Hass sind große Worte). Weiterhin ist Worte der Plural von zusammenhängenden Äußerungen (seine Worte sorgsam wählen), Aussprüchen, beispielsweise von bekannten Persönlichkeiten (viel zitierte Worte), oder (Lied)texten.”
Grafik: Pixabay – danke
Oh ja, das kenne ich! Das schmeckt „wie Zunge aus dem Fenster“ oder der sieht aus „wie unsereiner nicht von hinten“ sind Lieblingsausdrücke, die ich mit meiner Großmutter verbinde – vermutlich in Erinnerung geblieben, weil diese Großmutter so gut wie nie etwas Negatives gesagt hat. Die Gemeinheit des Lebens: WENN es dann doch mal geschah, bleibt das gleich für die Ewigkeit hängen.
In der individuellen Wortwahl drücken sich viele Charakterzüge, Eigenarten und Zeitbezüge aus. Ich achte beim Bearbeiten von biografischen Erzählungen auch sehr darauf, dass sie erhalten bleiben. Und umgekehrt: Wenn ich etwas (um)formuliere, fällt es mir auf, wenn ich versehentlich eigene Wort-Charakteristika verwendet habe – die klingen wie eine Verfremdung, also passe ich sie besser an den Grundstil des Textes an. Und ja: Das fällt den Biografierten und ihren Familien positiv auf. Schon wenige passende Wörter reichen für einen sehr persönlichen Eindruck.
Zugleich kann man mit Reizwörtern spielen, die für ein Alter charakteristisch sind. Etwa so:
Mutter nimmt ihren Sohn wegen vernachlässigter häuslicher Pflichten „ins Gebet“.
Sohn: „Boah, jetzt chill mal!!“
Da erlebt man einen Sohn des frühen 21. Jahrhunderts und eine traditionell erzogene Mutter, die sich nicht zu helfen weiß. Der Sohn ist übrigens mittlerweile 19, „vorzeigbar“ und „gesellschaftsfähig“ – „aus Kindern werden Leute“, hätten meine Eltern gesagt.