Ich kann zufrieden sein. Seit Jahresbeginn arbeite ich an einem Biografieauftrag, bei dem endlich auch mal die Konditionen stimmen und bisherige Raten auch pünktlich gezahlt wurden. Der Kunde hat zwar die einen oder anderen Mucken, aber welcher Mensch hat die nicht? Erfreulich ist, dass ich diesem etwas verschlossenen Menschen noch Geschichten entlocken konnte, indem ich mit ihm kleine Ausflüge in die nähere Umgebung gemacht habe, um ihn an die Orte seiner Jugend zu führen. Was ein Versuch war, erwies sich als voller Erfolg: War er anfangs nur mit Mühe zu überreden, diese Touren überhaupt mitzumachen, so sprudelte es umso reichlicher, als wir vor dem Eingang eines Gehöftes ankamen, in dem er seine Kindheit und Jungend verbracht hatte. Das gehört für mich zu den schönsten Seiten unserer Zunft: wenn die Leute sich einem anvertrauen.

Die Interviewphase konnte ich Angang März abschließen und bin nun beim „Schönschreiben“, wie ich das für mich nenne.

Und nun „das“, an dem in diesen Wochen niemand mehr herumkommt: Die Corona-Pandemie. Selbstredend sind Besuche bis auf Weiteres nicht mehr möglich, und ich habe das Glück, dass sie gegenwärtig auch nicht mehr nötig sind. Meine Hoffnung ist, dass nicht nur meine Familie und ich gesund bleiben, sondern der alte Herr ebenfalls, denn wer ist schon Risikogruppe, wenn nicht ein Mensch mit über 90 Jahren? Hoffen wir also das Beste.

Dazu mischt sich die Empfindung, dass wir vielleicht JETZT an einem Punkt sind, der sich für unser weiteres Leben als wegweisend herausstellen wird. Die mühsame Phase der Isolation, durch die wir gehen, wird nicht vergessen sein, wenn sich alles wieder normalisiert hat. Und „normal“ im Sinne „genau wie vorher“ wird vieles wohl nicht mehr sein. Hoffentlich nicht. “In der Krise zeigt sich der Charakter des Menschen“ hat Helmut Schmidt einmal gesagt, und so reibe ich mir in diesen Tagen die Augen darüber, was so alles möglich ist – über alle wirtschaftlichen Sorgen, Angsthandlungen, Hamsterkäufe etc. hinweg. Ich sehe geradezu überbordende Hilfsangebote an Menschen, die das Haus nicht verlassen können oder sollten, ob es nun darum geht, einzukaufen, den Hund zu lüften oder was auch immer. Ich erlebe Menschen, die abends aus ihren Fenstern heraus oder von ihren Balkons herunter Musik machen und zeigen, wie sehr sie es zu schätzen wissen, was Ärzte, Krankenpfleger, Polizei, Feuerwehr und die Beschäftigten des Einzelhandels gerade leisten – und das unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen. Und wir sprechen wieder miteinander, zwar notgedrungen nur am Telefon, aber wir denken wieder mehr an Menschen, die uns wichtig sind.

Möge dieses Wertschätzen und die damit verbundene Achtsamkeit erhalten bleiben und mögen die Schreihälse und Demagogen, die sich stets ereiferten ohne irgendetwas Positives beizutragen, sich weiterhin geschlossen halten. Ich weiß, dass diese Wünsche nicht restlos in Erfüllung gehen werden, aber im besten Fall sehen wir in ein paar Monaten oder Jahren auf diese Phase zurück als einen Wendepunkt in unser aller Biografie.

So bin ich überwiegend zuversichtlich und verbschiede ich mich mit der „Grußformel 2020“: Bleibt schön gesund.