Sinn aus einer Krise schöpfen? Umbrüche als Geschenke wahrnehmen? Darüber schreiben, damit andere davon profitieren? Drei Fragen – dreimal als Antwort ein unbedingtes Ja und der Hinweis auf ein interessantes Buchgenre: Ein Memoir ist ein lebenserzählendes Sachbuch. Ein Erfahrungsbuch, das sich auf die Essenz eines Lebens fokussiert: Die Lebensbrüche.

Wir brauchen Heldinnen!

Bist du eine Heldin? Ein Held? Nein, sagst du, ganz bestimmt nicht. Und du lachst. Ich lache auch und erwidere: Doch! Ganz bestimmt bist du es. Denn du hast ein einzigartiges Leben gelebt und du hast es gemeistert. Du hast eine Reise hinter dir, von der andere Menschen lernen können. Solche Menschen wie dich brauchen wir gerade unbedingt. Die Leader:innen dieser Zeit sind ganz normale Menschen, die beherzt ihre Ängste und Zweifel, ihr Straucheln, Schämen, Fallen und Wiederaufstehen mit uns teilen. Persönliche Wendepunkte, Krankheiten, durchlebte Krisen, Todesfälle – es scheint mutig oder sogar wagemutig, sich diesen Themen anzunähern und dann auch noch öffentlich, schreibend. Und dieser Wagemut ist es, der die Gemeinschaft wachsen lässt. Menschen, die immer wissen wo´s langgeht, finde ich zum Gähnen langweilig. Geht dir das nicht auch so? Ich möchte Vorbilder haben, die ihr Nichtwissen und ihre Unzulänglichkeit zugeben können. Klar, eindeutig und menschlich teilen sie ihre Erfahrungen mit uns, damit wir davon profitieren.

Memoir – Lebensbrüche sind das Thema

Solche Vorbilder finden wir in einem Buch-Genre häufig – im Memoir. Ein Memoir ist ein lebenserzählendes Sachbuch, ein Erfahrungsbuch. Menschen schreiben Teile ihrer Lebensgeschichte auf, weil sie ihre Leserschaft am Umgang mit besonderen Lebenssituationen teilhaben lassen wollen. In Episoden oder Szenen bearbeiten die Schreibenden ein wiederkehrendes Thema, eine Entwicklung. Zumeist geht es im Schreibprozess eines Memoir um das Ordnen von Geschehnissen, das Annehmen einer neuen Situation und um die Sinnsuche. Daher ist die Zusammenarbeit mit einem Schreibbegleiter oder einer Biografin sinnvoll – wir schauen gemeinsam hin und finden den roten Faden. Im leichten Frage-Antwortspiel werden Dinge erstmalig ausgesprochen und erfahren Klärung. Und gemeinsam lassen sich auch Schattenbereiche leichter erkunden, wir gehen Hand in Hand, dann sind wir mutiger. (Hier unterscheidet sich die Arbeit an einer Biografie nicht so sehr vom Schreiben eines Memoirs. Auch im biografischen Schreiben ist fast immer die Persönlichkeitsentdeckung mit im Spiel.)

Die meisten „meiner“ Autorinnen und Autoren haben schreibend ein Lebensthema weitergegeben, eine Botschaft an die folgende Generation herausgearbeitet. Sie schreiben keine Memoiren, keine Lebenserzählungen. Sie suchen das Besondere, die oben bereits erwähnte Essenz. Gemeinsam gestalten wir diese Botschaft vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte lebendig. Dabei folgt das Memoir eigenen Regeln: Klassische Autobiografien bilden ein ganzes Leben ab. Das Lebensbuch – Memoir – fokussiert einen Abschnitt, einschneidende Erlebnisse oder wiederkehrende Leitmotive. Bücher, die auf diese Art entstehen, zeigen eine ganz persönliche Entwicklung im Umgang mit besonderen Lebenssituationen. Es sind die Lebensbrüche, um die es geht. Hier scheint das Licht durch. Hier wird es kostbar, denn es sind die Brüche, die ein Leben zur Besonderheit machen, nicht die glatte Oberfläche.

Was suchen die Leser:innen?

Unsere aktuelle Zeitqualität scheint perfekt für Fortschritt und Evolution. Das Leben ist unglaublich lebendig, das Sein spürbar in seiner ganzen Bandbreite, wir kosten es aus und schmecken die Süße und das Bittere. Und ich nehme wahr, dass um mich herum immer mehr Menschen sich dazu bekennen, die Qualitäten des Lebens nicht mehr nach „gut“ und „schlecht“ zu unterteilen. Sie wollen ihre Angst nicht mehr ignorieren, genauso wenig wie ihre Freude. Sie merken, dass Glück in den Momenten greifbar scheint, in denen die Akzeptanz des Lebensflusses vollständig ist. Und ich glaube, das ist es, was die Leser und Leserinnen eines Memoir suchen – sie möchten gemeinsam mit den Schreibenden in den Lebensfluss steigen und sich davontragen lassen. Sie möchten sich identifizieren und sehen, wie andere mit den Untiefen, Strudeln, Wellen und Felsen des Lebens umgehen. Gerade, wer eine Krankheit, einen Todesfall erlebt hat oder sich vom Schicksal gebeutelt fühlt, sucht häufig Identifikationsmöglichkeiten. Es tut so gut, es ist so erleichternd zu sehen: Anderen geht es auch so. Ich bin nicht allein. Deswegen gehen Autor:innen von Memoirs oft und gerne mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit und freuen sich auch über Lesungen, Interviews oder Communities – über das wachsende Gemeinschaftsgefühl eines mitfühlenden Wir.

Wie schreibt sich sowas?

Wer ein Memoir beginnen möchte, folgt zunächst der normalen Fragestellung eines Buchprozesses, wie ich sie auch in meinen Workshops vermittle. Und dann geht es natürlich darum, die Storyline entlang der wesentlichen Geschichten, der charakteristischen Themen oder entlang wegweisender Fragestellungen zu gliedern. Vielleicht nehmen wir zunächst nur zwei oder drei Elemente und spüren nach. Im Schreibprozess werden sich dann weitere Lebensthemen zeigen, die genau passend sind. Wir suchen das Authentische, das Passende und wollen keine tollen Hechte oder grandiosen Überfliegerinnen an den Himmel des Zirkuszelts hängen. Ein Memoir bietet kein Chipskino für die staunende Menge, die letztlich nur froh ist, dass ihnen das alles zum Glück nicht passiert ist. Lebensbücher sollen einladen – zum Mitleben, Mitfühlen und Mitdenken.

Beispiele für Memoirs

„Nicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoodys, „Wüstenblume“ von Waris Dirie, „Eat, Pray, Love“ von Elizabeth Gilbert, „Lebensbruch“ von Kai Romhardt und „Lebenszeit – Yoga im Jetzt“ von Milena Willbrand und Farina Kuklinski. (Dieses Buch habe ich als Co-Autorin begleiten dürfen. www.yogajetzt.info)