Es ist ein Projekt der Gleichstellungsbeauftragten: ein Buch mit Frauen-Lebensläufen zusammenstellen. Frauen, die in der Stadt eine Rolle gespielt haben, sollen darin zur Geltung kommen, Frauen, die für die Region oder die Zeit typische Biografien hatten und solche, die Besonderes erreicht haben.  Denn viele Frauen sind – zeittypisch – mit ihren Leistungen im Verborgenen geblieben. Jetzt sollen sie ins Licht kommen!

Ein kleiner, geschichtsbegeisterter Kreis engagiert sich, um geeignete Frauen zu ermitteln, Informationen über sie zu sammeln und mit ihnen, ihren Familien oder ihren Nachkommen zu sprechen: Was gibt es zu erzählen über diese Menschen? Wie ist ihr Leben verlaufen, und was waren die entscheidenden Impulse für ihr Engagement?

Die Angst vor der eigenen Geschichte

Die große Überraschung: Viele Frauen trauen sich nicht, von sich zu erzählen. Sich so in den Vordergrund zu drängen, wie sieht das denn aus? Und viele Angehörige wollen nichts von sich oder den Ihren in einem Druckwerk lesen: Alles soll anonymisiert werden, damit bloß keine Rückschlüsse auf die Familie gezogen werden können! Viele streichen, wenn sie das Erzählte lesen, die Hälfte wieder heraus. Zumeist ist das die Hälfte, die ihre Zuhörer besonders spannend fanden, die ihnen aber – schwarz auf weiß – unangenehm offen ist. „Du kannst doch nicht erzählen, dass wir anfangs auf dem Boden geschlafen haben!“, empört sich beispielsweise der Sohn, dessen Mutter von der Einwanderung als Gastarbeiterfamilie nach Deutschland berichtete.

Woher aber kommt diese Angst vor der eigenen Geschichte? Was alles empfinden wir als „peinlich“? Schon Einfachheit? Schon Armut? Was machen wir den Nachbarn vor, damit sie das Richtige über uns denken? Als Kinder haben wir schon „Wahrheit oder Pflicht“ gespielt, ein Nervenkitzel! Nicht selten haben wir „Wahrheit“ gewählt, um uns anschließend um Kopf und Kragen zu lügen aus lauter Angst, zu viel gut Verstecktes preiszugeben.

Vom Schreiben und Nichtschreiben

Zum Schreiben kann man ganz verschiedene Haltungen haben:

Manche schreiben, um zu heilen.

Andere schreiben nicht, damit niemand die Wunden sieht.

Manche schreiben, um zu verstehen.

Andere schreiben nicht aus Angst, missverstanden zu werden.

Manche schreiben, um einen Sinn zu finden.

Andere schreiben nicht, weil sie es für sinnlos halten.

Manche schreiben, um das Leben und seine Erfolge zu feiern.

Andere schreiben nicht, um sich keine Blöße zu geben.

Manche schreiben, um damit ins Rampenlicht zu treten.

Andere schreiben nicht, um im Schatten zu bleiben, keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Haben Sie Mut!

Ich schreibe seit mehr als 15 Jahren Biografien und ich verstehe die Angst, sich zu zeigen und gesehen zu werden. Es erfordert Mut, sich der Kritik auszusetzen oder auch nur den Kommentaren seiner Leserinnen und Leser. Doch ich habe noch von niemandem gehört, dass er es bereue, seine Biografie verfasst zu haben. Noch nie, dass Leser die Geschichte zu persönlich gefunden hätten. Vielmehr erlebe ich häufig Achtung und großen Respekt vor dem gelebten Leben und seinen Herausforderungen. Eine Autobiografie schafft Nähe, Verständnis und Anknüpfungspunkte. „Ich wusste ja gar nicht …!“, schwärmen die berührten Leser, und ein tiefergehendes Gespräch kann sich entwickeln. Wer seine Biografie zu Papier gebracht hat, ist oft erleichtert, die Geschichte festgehalten zu haben und sie nun loslassen zu können. Den Enkeln begreiflich gemacht zu haben, wie anders die Welt früher war.

Es erfordert Mut, aber wenn ich menschlich berühren will, muss ich die Maske absetzen. Die „Wahrheit“ wählen und wagen – meine persönliche Wahrheit. Manchmal setzen dann auch die Nachbarn erleichtert ihre Maske ab, und man kann sich auf einer natürlicheren Ebene begegnen.

Aus der Gestaltseelsorge gibt es den Sinnspruch: „Was ist, darf sein, und was sein darf, das kann sich entwickeln und verändern.“ Würdigen, was ist – das tun wir mit jeder Lebensgeschichte, die wir festhalten. Und das hilft auch bei Entwicklung und Veränderung.

Als Biografin für Sie im Dreiländer-Eck NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz: Adele v. Bünau